Professor Ingrid Herr ist Biologin und arbeitet in der experimentellen Krebsforschung. Sie interessiert sich vor allem dafür wie verhindert werden kann, dass in unseren Zellen etwas schiefläuft und was hilft wenn doch. Sie forscht schon seit Ihrer Diplomarbeit an Mechanismen, die zur Krebsentstehung führen und sie selbst führte das an den Neckar. Dort leitet sie die Sektion Chirurgische Forschung und das Team Molekulare Onkochirurgie am UniversitätsKlinikum Heidelberg.
Liebe Frau Professor Herr! Ihre Forschungsergebnisse zeigen wie Senföle (Sulphoraphan) aus Brokkoli und anderen Kohlsorten der Entstehung von Krebserkrankungen vorbeugen bzw. die Therapie positiv beeinflussen. Nun ist es erst einmal kein großes Geheimnis, dass unsere Gesundheit von natürlichen, frischen Nahrungsmitteln profitiert. Dank der Wissenschaft verstehen wir aber endlich auch immer besser, warum das so ist. Da in unserem Essen noch jede Menge anderer spannender Moleküle stecken, die uns vital über die Hürden der nächsten Jahrzehnte tragen, gibt es auch immer noch ein paar Fragen:
Wie lange beschäftigt Sie das Thema Wirkstoffe in unserer Nahrung im Zusammenhang mit Krebs schon? Gab es einen Aha-Moment oder ein Forschungsergebnis, das entscheidend für Ihren Weg war?
1997 wurde eine kanadische Populationsstudie in einer international weit gelesenen Fachzeitschrift publiziert, bei der Essgewohnheiten von 1000 Männern mit Prostatakrebs über vier Jahre lang über Fragebögen analysiert wurden. Es kam heraus, dass Männer, die viel Brokkoli und Blumenkohl gegessen hatten, ein 50 Prozent geringeres relatives Risiko des Voranschreitens ihrer Krebserkrankung hatten. Wir haben damals mit Tumorstammzellen geforscht, die als Wurzel der Krebsentstehung und Metastasierung angesehen werden. Da diese sehr widerstandsfähig gegen zytotoxische Krebstherapien wie Chemotherapien sind, haben wir nach neuen Möglichkeiten gesucht, die kleine Population der Tumorstammzellen in der Tumormasse anzugreifen. Aufgrund des Potentials von Brokkoli und Blumenkohl die Metastasierung zu hemmen, haben wir nachgeschaut, welche Stoffe in diesem Kohlgemüse enthalten sind. Dadurch sind wir auf Sulforaphan gestoßen, das bereits bekannt war und das wir bei Sigma, einem Chemieversandhandel, für wissenschaftliche Zwecke bestellt haben. Sulforaphan ist ein Senföl, durch das sich die Pflanzen vor Angriffen von Frassfeinden schützen. Sulforaphan und ähnliche Senföle der Kreuzblütlerpflanzen scheinen auch beim Mensch zu wirken. Zahlreiche experimentelle Studien zeigen eine Wirkung gegen Viren, Bakterien und Pilze, sowie eine entzündungshemmende und krebshemmende Wirkung.
In einem Ihrer Vorträge erwähnen Sie das Antioxidans EGCG, Epigallocatechingallat. Ich glaube das ist schon deshalb gesund, weil man beim Auswendiglernen des Wortes sein Gedächtnis trainiert. Die Substanz ist in größeren Mengen in grünem Tee enthalten und ihr werden zahlreiche positive Eigenschaften hinsichtlich der Krebsprävention und Stressreaktionen nachgewiesen. Welche Verzehrform würden Sie empfehlen, Kapseln oder besser Tee zubereiten und die Blätter frisch aufbrühen?
Die Aufnahme von sekundären Pflanzenstoffen im Kontext der ganzen Pflanze ist einem Nahrungsergänzungsmittel mit dem isolierten Wirkstoff immer vorzuziehen. In der Pflanze wirken meist mehrere Pflanzenstoffe gleichzeitig, z.B. gibt es im Grünen Tee außer dem EGCG noch weitere Polyphenole, anregendes Koffein, verdauungsfördernde Bitterstoffe, Mineralien, Spurenelemente, und Vitamine. Darüberhinaus ist Grüner Tee günstiger als ein Nahrungsergänzungsmittel. Das Gleiche gilt für Kohl – es ist besser die Kreuzblütlerfamilie mit z.B. Brokkoli und sämtlichen weiteren Kohlarten, Kresse, Senf, Rettich, Rucolasalat, Raps- und Leindotter-/Camilinaöl in die tägliche Ernährung einzubauen, als teuren Brokkolisamen oder Brokkolisprossenprodukte zu kaufen. Man geht davon aus, dass eine Kombination bioaktiver Nahrungsstoffe wirksamer ist als isolierte Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln, weshalb eine Ernährung mit einer hohen Variation an pflanzlichen Lebensmitteln empfehlenswert ist.
In meinem Bekanntenkreis scheint es vor allem Männer gern zu Fischölkapseln hinzuziehen. Die darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren wirken nachweislich entzündungshemmend und damit verbunden eventuell lebensverlängernd. Halten Sie diese Verzehrform für geeignet? Nimmt man mit gelegentlichem Fischverzehr, z.B. einem Fischfilet pro Monat oder Zwei überhaupt ausreichende Mengen auf oder würden Sie schon dazu raten zu supplementieren?
Für Fischölkapseln gilt das Gleiche: bereiten Sie Salate oder sonstige Kaltspeisen mit Leinöl, Rapsöl, Leindotter-/Camilinaöl- und Walnussöl zu, dann bekommt Ihr Körper genügend Omega-3-Fettsäuren. Wenn Sie sich nicht gerade vegan ernähren, trägt gelegentlicher Fischverzehr noch zur Omega-3-Fettsäure Versorgung bei.
Manchen Personen ist eine gewisse Resistenz bei der Nahrungsmittelauswahl eigen, vor allem wenn es darum geht etwas zu kaufen, weil es gesund ist. Gekauft wird vorrangig nach Lust und Geschmacksvorlieben. Was ist Ihrer Meinung nach ein geeigneter Weg von durchschnittlich mitteleuropäisch-westlicher Ernährung auf gesunde Kost umzusteigen? Gibt es die „Life-Hacks“ von denen Sie sagen, ja, bei mir funktioniert es auch?
Ein gewisses Interesse und Motivation sollte vorhanden sein. Eine gesunde Ernährung mit viel Obst- und Gemüse, dafür wenig Kohlenhydrate und tierischem Fett erfordert ein gewisses Umdenken. Das ist zeitaufwändig und man muss sich das notwendige Wissen erst einmal aneignen. Viele Patienten denen ihr Arzt rät sich gesund zu ernähren, wissen erst einmal nicht was sie eigentlich noch essen können. Weißbrotprodukte inklusive Nudeln, Pizza und Kuchen, Industriezucker, Kuchen, gesüßte Getränke, Vermeidung von rotem Fleisch und Wurst, sogar Kartoffeln und weißer Reis sollen eingeschränkt werden. Das Schnippeln von Gemüse und Salat ist zeitaufwändig und meistens fehlt es an Ideen für eine schmackhafte Zubereitung. Hilfreich hierbei sind vegetarische Rezepte aus der orientalischen und asiatischen Küche. Gefragt sind auch unsere Einkaufsmärkte, Restaurants und Imbiss-Stände, die mehr gesunde, bereits zubereitete Fertigmahlzeiten anbieten könnten. Ich will jetzt hier keine Schleichwerbung machen, aber was ich klasse finde, sind die vegetarischen Rezepte von Hello Fresh und ähnlicher Kochboxen. Für 39 Euro bekommt man einmal wöchentlich ein Paket mit drei Rezeptkarten inklusive aller Zutaten nach Hause geliefert – auch exotische Zutaten und frische Kräuter sind dabei, nach denen man beim Einkaufen lange suchen müsste. Die Rezepte orientieren sich häufig an der orientalischen und asiatischen Küche, d.h. sie bieten praktische, zeitsparende Anregungen für geänderte Kochgewohnheiten für eine schmackhafte, gesunde Kost.
Bei der Recherche zu den Interviewfragen sind mir einige Beiträge aufgefallen, die pflanzenbasierte Kost als essentiell für die Krebsprävention beschreiben. Es geht dabei vorwiegend darum, dass nicht nur pflanzliche Fette, sondern auch Proteine den Tierischen vorgezogen werden sollten. Dabei werden ja besonders tierische Proteine aufgrund ihrer Zusammensetzung als besonders „gute“ Proteinquelle beschrieben. Würden Sie das aus Ihrer Sicht als Wissenschaftlerin auch unterstützen und ernähren Sie sich vegan oder vegetarisch?
Wir empfehlen zur Krebsprävention eine überwiegend pflanzliche Kost mit Vermeidung von rotem Fleisch und Wurst. Rotes Fleisch und Wurst enthalten krebserregende Faktoren und Zubereitungsformen mit sehr heißem Erhitzen wie beim Grillen oder scharf anbraten erhöht die krebserregenden Faktoren. Wenn Fleisch genossen wird, dann natürlich aufgewachsenes Geflügel ohne Antibiotikabelastung und schonende Zubereitung bei Niedrigtemperaturen zwischen 80 und 100°C. So wie Oma anno dazumal den Sonntagsbraten zubereitet hat war es genau richtig: das Fleisch mehrere Stunden im Backofen garen. Ich ernähre mich übrigens überwiegend pescarisch. Dabei werden Fleisch, Eier, Milch und Milchprodukte vermieden und die Ernährung basiert auf Vollkornprodukten, Obst- und Gemüse, Hülsenfrüchten, pflanzlichen Ölen, Nüssen, Fisch und Meeresfrüchten.
Was halten Sie von „Nudging“ (Anreize für gesünderes Verhalten, z.B. Kaufentscheidungen bei Lebensmitteln oder mehr Bewegung)? Würden Sie mehr Einflussnahme befürworten oder sehen Sie das eher kritisch, soll doch jeder essen was er will, egal ob gesund oder nicht? Nehmen Sie auch bewusst Einfluss auf Ihr Umfeld wenn es um Ernährungsgewohnheiten geht?
Ich würde Anreize für ein gesünderes Verhalten sehr begrüßen. Aufgrund der zunehmenden Fettleibigkeit der Bevölkerung und davon ausgehenden Gefahren für die Gesundheit und letztendlich den Arbeitsmarkt, sehe ich hier auch eine vermehrte Einmischung des Staates in der Pflicht. Das fängt an bei der Kontrolle des Nahrungsmittelangebots in Supermärkten, höhere Besteuerung von krankmachenden Nahrungsmitteln, wie beispielsweise das reichhaltige Angebot von Süßigkeiten und gesüßten Getränken. Notwendig scheint auch eine vermehrte Aufklärung zu sein, Ansprechpartner wären hier Kindergärten, Schulen und Kantinen am Arbeitsplatz. Vorreiterstellung diesbezüglich hat die Albert-Schweizer-Stiftung, die sich sehr dabei engagiert das Angebot rein pflanzlicher Produkte und Gerichte bei Unternehmen und Einrichtungen zu platzieren. Die Stiftung nutzt ihre guten Kontakte in die Lebensmittelwirtschaft, um rein pflanzliche Produktentwicklungen anzuregen sowie das Angebot rein pflanzlicher, schmackhafter Gerichte und Produkte auszuweiten.
Gelegentlich erreicht mich die Kritik, in meinen Texten stände der Gesundheitsaspekt über dem Genuss. Da das ja kein Widerspruch sein muss: Was ist für Sie das köstlichste gesunde Essen?
Dazu hätte ich zu sagen, dass Geschmack eine Frage der Gewohnheit ist. Den Geschmacksinn und Vorlieben für bestimmte Nahrungsmittel kann man trainieren. An köstlichen, gesunden Mahlzeiten hätte ich mehrere Gerichte zur Auswahl, beispielsweise Salattorte mit Walnussöl-Balsamico-Dressing, Dips aus Avocado oder Hülsenfrüchten, Zucchini oder Paprika gefüllt mit Vollkorn-Cousous und Tomate, geschnittener, gedämpfter Spitzkohl auf Quinoa, Tomaten- oder Brokkolisuppe mit Kokosmilch statt Sahne und asiatische Gemüsecurries in unterschiedlichsten Variationen.
Welche Frage wollten Sie schon immer mal beantworten, nur stellt sie nie jemand aka möchten Sie noch etwas loswerden?
Den Zucker haben wir vergessen. Es wird gesundheitlich nicht viel bringen sich fleischlos zu ernähren, wenn das in einen Pudding-Vegetarismus ausartet. Darunter versteht man eine vegane oder vegetarische Ernährungsform, die weiterhin einfache Kohlenhydrate und Süßigkeiten beinhaltet. Wissenschaftler, die in großen Populationsstudien untersuchen, ob Vegetarier oder Veganer tatsächlich die gesünderen Menschen sind, finden zwar Hinweise, dass dies tatsächlich so ist. Sie postulieren dabei aber gleichzeitig, dass die Unterschiede noch viel deutlicher sein könnten, wenn die Gruppe der Pudding-Vegetarier von den Vollwert-Vegetariern getrennt mit dem Durchschnitts-Fleischesser verglichen werden würden.
Herzlichen Dank! Wer mehr über Frau Professor Herr und Ihre Arbeitsgruppe wissen möchte, schaut hier.